Finanzpolitische Anforderungen zum Erhalt der kommunalen Daseinsvorsorge

von Dr. Peter Lames (Dresden), Harald Riedel (Nürnberg), Arne Schneider (Hamburg) und Apostolos Tsalastras (Oberhausen)

Dr. Peter Lames, Finanzbeigeordneter von Dresden und Landesvorsitzender der SGK Sachsen

Alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens in allen Städten und Gemeinden sind mit der Covid-19-Krise konfrontiert. Sie trifft die Kommunen besonders hart. Noch härter werden die Kommunen der schwere ökonomische Schock und die drohende schwerwiegende Rezession treffen.

Kaum ein Land verfügt über so gute Voraussetzungen und Ressourcen wie Deutschland, um die Covid-19-Krise zu meistern. Das liegt ganz wesentlich daran, dass die Kommunen ihre Verantwortung für das Leben der Menschen in der örtlichen Gemeinschaft äußerst verantwortungsvoll wahrnehmen und über Beschäftigte verfügen, die sich in Behörden und Betrieben leidenschaftlich für das Wohl der Einwohnerinnen und Einwohner einsetzen.

Die Kommunen sind es, die den Staat am Laufen halten, indem sie den Menschen die sozialen, kulturellen, sportlichen und wirtschaftlichen öffentlichen Einrichtungen vor Ort bereitstellen. Gerade in der Krise brauchen die Menschen ihre Kommune. Sie gewährleisten auch in dieser Krise wieder einmal, dass die öffentlichen Einrichtungen weiterhin zuverlässig funktionieren, dass die Hilfsprogramme umgesetzt werden, organisieren und erbringen Mehrleistungen im Gesundheitswesen und bieten notwendige Hilfen für die Menschen in sozialer Not. Damit verbunden ist in der Krise ein erheblicher Mehraufwand in Milliardenhöhe.

Gleichzeitig steht den Kommunen ein gewaltiger Absturz bei den Erträgen bevor. Vor allen die Erträge aus der besonders konjunkturabhängigen Gewerbesteuer brechen ein, aber auch die Einkommensteuer und Umsatzsteuer, an denen die Städte und Gemeinden ebenfalls beteiligt sind. Zudem brechen die Erlöse aus der Kommunalwirtschaft weg, während gleichzeitig bei den öffentlichen Unternehmen ein erhöhter Aufwand zu verzeichnen ist. Unternehmen in besonders betroffenen Wirtschaftsbereichen wie Verkehrsbetriebe, Häfen, Flughäfen, Bäder sowie Kultur- und Veranstaltungseinrichtungen sind durch die Ertragsausfälle zum Teil in ihrer Weiterführung bedroht.

Gewaltige – u.a. vom Bund gerade erst ermöglichte – Stundungen von Steuern, Gebühren, Mieten, Pachten werden zu weiteren Ertragseinbrüchen bei den Kommunen und wahrscheinlich zu einem dauerhaften Schaden in den kommunalen Kassen führen. Die Mindereinnahmen werden erhebliche negative Auswirkungen auf die kommunalen Finanzausgleiche der Länder in den Folgejahren haben. Zeitnah muss die Steuer- und Abgabendisziplin durch einen stringenten Steuer- und Abgabenvollzug wieder hergestellt werden. Aber das wird nicht ausreichen.

Diese Krise trifft alle Kommunen, nicht nur die bisher strukturschwachen sondern jetzt insbesondere die finanzstarken Städte und vor allem die Metropolen als Wirtschafts- und medizinisch-infrastrukturelle Zentren. Besonders stark betroffen vom aktuellen wirtschaftlichen Aus-nahmezustand sind insbesondere Regionen mit Chemie-, Metall-, Elektro- und Stahlindustrie, mit überdurchschnittlich hohem Anteil der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie des Tourismus und Gastgewerbes. Die Großstädte sind zusätzlich von den Einschränkungen im Messe- und Veranstaltungsgeschäft erheblich betroffen.

In den Städten konzentrieren sich die sozialen Folgen der Krise – Insolvenzen, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit. Zu befürchten ist eine Zunahme von Menschen in wirtschaftlicher Not, die zu einer erheblichen Zunahme bei den Sozialleistungen insbesondere bei den Kosten der Unterkunft führen wird. Dies würde sich bei einer sehr tiefen Rezession noch erheblich verstärken.

Die Kommunen brauchen schnelle und wirksame Unterstützung. Das Grundgesetz verlangt, dass die finanziellen Grundlagen der Kommunen zu gewährleisten sind. Diese Gewährleistung der finanziellen Mindestausstattung ist nicht nur eine Aufgabe der Länder sondern auch des Bundes, der insbesondere für die öffentliche Fürsorge zuständig ist. Zur Aufrechterhaltung der kommunalen Leistungsfähigkeit sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:

1) Sofortprogramm zur Stabilisierung der Kommunen

Um die pandemiebedingen Aufwendungen und Ertragsausfälle zu kompensieren, sollte der Bund gemeinsam mit den Ländern ein Programm zur Stabilisierung der Kommunen auflegen, das noch in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zur Auszahlung kommt. Angesichts der aktuellen Betroffenheit aller Kommunen sollte die Verteilung nach der Anzahl der Einwohnerinnen und Einwohner erfolgen.

Der Bund sollte zudem befristet auf seinen Anteil aus der Gewerbesteuerumlage verzichten, um den Kommunen größeren finanziellen Spielraum zu gewähren. Eine Entlastung aus dem Länderanteil käme nur in Betracht, wenn es nicht zu einer Refinanzierung über den kommunalen Finanzausgleich käme.

Um die Liquidität der kommunalen Kassen sicherzustellen, sollte den Kommunen ein neuer Zugang zur Kreditversorgung eingerichtet werden, indem sie insbesondere auch für die Liquiditätssicherung eine entsprechende Finanzagentur des Bundes nutzen können.

2) Kommunen bei den Sozialleistungen unterstützen

Auf Grund zunehmender Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit ist mit einen Anstieg der Kosten der Unterkunft zu rechnen, die zu einem ganz wesentlichen Teil von den Kommunen zu tragen sein werden. Die pandemiebedingten finanziellen Mehrbelastungen der Kommunen bei den Sozialleistungen sollten von Bund kompensiert werden.

Die Kosten der Unterkunft waren schon in der Vergangenheit die wesentliche Ursache dafür, dass den Kommunen in konjunkturell schweren Zeiten große Altschuldenbestände entstanden sind. Um diesem Umstand sachlich und strukturell zu begegnen, sollte der Bund die Kosten der Unterkunft in den nächsten fünf Jahren vollständig übernehmen. Damit würden die Kommunen mit hohen Soziallasten ursachengerecht unterstützt.

Die im SPD-Regierungsprogramm verankerte nachhaltige Entlastung bei den Sozialausgaben sollte umgehend erfolgen. Jetzt gilt es die Entstehung neuer Liquiditätskredite auf Grund der Pandemie zu vermeiden.


Kommunales Aufstiegsprogramm


Die pandemiebedingten Maßnahmen des Bundes und der Länder dürfen nicht dazu führen, dass die Kommunen ihre Haushalte herunterfahren müssen, um die pandemiebedingten Mehraufwendungen und Mindererträge selbst zu erwirtschaften. Vielmehr werden die Auszahlungen aus den kommunalen Haushalten dringend benötigt, um nach der Krise die Konjunktur wieder anzukurbeln.

Damit sich nach den Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens Wirtschaft und Gesellschaft schnell wieder erholen können, müssen insbesondere die Kommunen in ihrer Leistungsfähigkeit erheblich gestärkt werden. Dann kann es gelingen, aus der Krise gestärkt hervorzugehen. Dafür müssten im Rahmen eines kommunalen Aufstiegsprogramms des Bundes im Schulterschluss mit den Ländern folgende Maßnahmen ergriffen werden:

1) Kommunen bei der Gesundheitsversorgung unterstützen

In erster Linie muss es darum gehen, die Kommunen mit ihren Krankenhäusern finanziell ausreichend in die Lage zu versetzen, die pandemiebedingten Krankheitsfälle zu versorgen. Gemeinsam mit den Gesundheitsämtern und den kommunalen Krankenhausträgern ist der Auf- bzw. Ausbau einer IT-basierten Koordinierungsstruktur für den Pandemiefall zu finanzieren. Dies beides ist insbesondere im Hinblick auf das Wiederanfahren des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens von großer Bedeutung.

Die aktuelle Krise zeigt, dass Krankenhäuser und weitere Einrichtungen der Gesundheits- und Pflegefürsorge nicht nur aus der Perspektive der Rentabilität betrachtet werden dürfen. Eine flächendeckende Krankenhaus- und Notfallversorgung ist ein öffentliches Gut, das gerade in Krisen in hinreichendem Ausmaß bereitgestellt werden muss. Das können die Kommunen leisten, wenn sie bei einer Rekommunalisierung der Krankenhäuser und weiterer Einrichtungen der Gesundheits- und Pflegefürsorge finanziell unterstützt werden.

2) Kommunale Investitionen zum Aufbau pandemieresistenter Infrastrukturen ausbauen

Es ist seit vielen Jahren bekannt, dass der größte Bedarf an zusätzlichen öffentlichen Investitionen bei den Kommunen liegt. Hinzu tritt, dass nach der Krise konjunkturpolitische Maßnahmen benötigt werden, die die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln, ohne einen Konsum anzukurbeln, der auch noch zu einer stärkeren Ausbreitung des Virus beiträgt. Ein undifferenziertes Ankurbeln des sozialen Konsums muss vermieden werden. Um die Nachfrage zu stärken müssen die kommunalen Investitionen insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Mobilität und Digitalisierung gestärkt werden.

Zudem muss sichergestellt werden, dass die bereits in den kommunalen Haushalten veranschlagten Investitionen nicht auf Grund der Notsituation bedingten Haushaltssperren zum Opfer fallen. Die Kommunen müssen vielmehr dabei unterstützt werden, mit ihren Einrichtungen eine pandemieresistente Infrastruktur zu schaffen, damit sich die Menschen vor Ort sicher begegnen können.

Dazu bedarf es keiner neuen Programme. Es würde ausreichen, die bestehenden Programme zur Unterstützung kommunaler Investitionen wie die Kommunalinvestitionsförderungsgesetze I und II, das Gute-Kita-Gesetz, der Digitalpakt Schule, die Förderung von Ganztagsschulen und die Förderung des sozialen Wohnungsbaus auszuweiten bzw. zu verlängern und die Anforderungen an die Förderung auf ein notwendiges Maß zu reduzieren, um eine schnelle Umsetzung zu ermöglichen. Von der kommunalen Kofinanzierungspflicht sollte bis auf weiteres Abstand genommen werden.

3) Kinder- und Jugendliche vor Ort fördern

Der auf Grund der Krise bedingte Rückgang der Betreuungsangebote, benachteiligt ins-besondere Kinder und Jugendliche mit hohem Unterstützungsbedarf. Um die Kinder- und Jugendlichen so gut wie möglich auf den Übergang in die weiterführenden Schulen und auf die Erlangung des ersten berufsqualifizierten Abschlusses vorzubereiten, sollten die Kommunen dabei unterstützt werden, in den Ferien Sommerschulen und Sommerakademien anzubieten. Der Bund und die Länder sollten dafür die Finanzierung im Wege von Programmen zur Förderung der schulbezogenen Jugendsozialarbeit und Bundesprogrammen wie beispielsweise „Demokratie leben!“ sicherstellen.

4) Örtliche Mobilität sicherstellen

Entscheidend für das erfolgreiche Wiederanfahren nach dem Ende der weitreichenden Kontaktbeschränkungen, ohne dass es zu einem Anstieg der Viruserkrankungen kommt, werden die Kapazitäten des öffentlichen Personennahverkehrs sein. Um die Finanzierung pandemiereselienten Nahverkehrs zu sichern, sollten die Regionalisierungsmittel in Höhe der derzeit entfallenden Beförderungsentgelte aufgestockt werden.

5) Kommunen in der digitalen Leistungserbringung stärken

Um den Bürgerinnen und Bürgern die öffentlichen Dienstleistungen weitgehend auch digital zur Verfügung zu stellen, sind die Möglichkeiten der Digitalisierung konsequent zu nutzen. Damit sich möglichst wenige Bürgerinnen und Bürger im Verwaltungskontext be-gegnen müssen, sind insbesondere die Leistungen nach dem Online-Zugangsgesetz schnellstmöglich zu digitalisieren. Um die Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes und die Digitalisierung weiterer kommunaler Dienstleistungen noch stärker voranzutreiben, sollte das Digitalisierungsbudget, mit dem der Bund und die Länder Projekte und Aktivitäten unterstützen, die die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen auf allen föderalen Ebenen voranbringt, entsprechend angepasst werden.

6) Kommunalen Finanzausgleich stärken

Der für 2020 zu erwartende Steuereinbruch bei den Ländern wird spätestens im Folgejahr an den kommunalen Finanzausgleich weitergereicht werden und damit die finanzielle Situation in den Kommunen dramatisch verschärfen. Die kommunalen Haushalte benötigen deshalb eine garantierte Haltelinie, die die krisenbedingten Verluste zumindest über-wiegend ausgleicht. Es ist auch fiskalisch sinnvoll, die dafür erforderliche Neuverschuldung auf Landesebene zu organisieren statt in jeder einzelnen Kommune.

7) Europäische Regeln zur Stärkung der Daseinsvorsorge umbauen

Im Augenblick der Krise hat die Europäische Union eine Reihe von Regeln gelockert, die seit dem Vertrag von Lissabon die Kommunalwirtschaft zulasten der Gemeinwesen und ihrer Bürgerinnen und Bürger geschwächt hat. Es darf nicht bei einer temporären Lockerung bleiben, sondern bedarf einer grundlegenden Revision im Sinne der Subsidiarität.

Das Beihilferegime der Europäischen Union muss wieder auf einen sehr viel engeren Be-reich weniger Schlüsselindustrien beschränkt werden. Wo die örtlichen Gemeinschaften für sich kommunalwirtschaftliche Lösungen präferieren, darf es nicht länger Behinderungen durch die Europäische Union geben. Kommunalwirtschaftliche Kooperationen zwischen Kommunen müssen erleichtert werden.

Der Kreis der Daseinsvorsorge ist sehr viel weiter zu ziehen als bisher. Nicht nur die Einrichtungen von Gesundheit und Pflege, sondern auch die Netze der Daten- und Telekommunikation, die Plattformökonomie, der grundlegenden Logistik sowie die basalen Finanzdienstleistungen sollten künftig dazu gerechnet werden können.

Die Pandemie hat allen vor Augen geführt, dass dem Gedanken des Wettbewerbs im Bereich des Gemeinwesens und der Daseinsvorsorge enge Grenzen gezogen werden müssen. Die Frage der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse gehört nach der Krise mit neuer Dringlichkeit wieder auf den Tisch und ihre Beantwortung muss auch die Lösung der Altschuldenfrage für Kommunen beinhalten.